Ein Beitrag vom Nachtwächter am 20.08.2014
Markus Gärtner über verfehlte Wirtschaftspolitik, Finanzkrise, ökonomische Depressionen, heiß laufende Notenpressen und Enteignung der Bürger.
Markus Gärtner, 20.08.2014
Ein brisantes Wirtschafts-Konzept, das dem Westen jahrelanges Dümpelwachstum und schwache Arbeitsmärkte vorhersagt, registriert überraschend starken Zulauf. Es ist die These von der »säkularen Stagnation«. Der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers hat sie erstmals nach der Großen Depression wieder aufs Tablett gehievt. Die Prognose schwört Europa und die USA auf jahrelanges, wenn nicht permanentes wirtschaftliches Siechtum ein, mit Depression an den Arbeitsmärkten und wirkungsloser Geldpolitik. In diesem Szenario würden nur noch dauerhafte, gigantische Stimulus-Programme der Regierungen helfen.
Doch die haben dafür weder das Geld, noch die Durchsetzungskraft. In weiten Teilen Europas herrscht Austerität. Die Maastricht-Bestimmungen und das aktuelle Spardiktat in der Euro-Zone lassen eine solch radikale Kehrtwende derzeit nicht zu. Damit bleiben zwei verheerende Optionen, die beide in ein Desaster führen würden: Entweder wirft Europa seine Austerität in den Mülleimer der Geschichte, heizt mit massivem Dauer-Stimulus die Wirtschaft an und riskiert eskalierende Schulden, um eine ungewisse Wette auf eine stetige konjunkturelle Erholung einzugehen. Geht die Wette nicht auf, kommt das Ende mit Schrecken in einem alles verschlingenden weiteren Finanz-GAU.
Wie das genau aussehen würde, beschreibt ein brisantes Papier, das die Ökonomen Gauti Eggertsson von der Brown University in Providence und Neil Mehrotra von der Columbia University im Juli publizierten. Das Papier liest sich wie ein Sprengsatz für die EU. Die zentrale These der beiden Autoren:
»Ein permanenter wirtschaftlicher Einbruch ist möglich, ohne Chance für den Arbeitsmarkt auf eine Erholung.«
Der Abbau extremer Schulden führt in diesem Szenario zu hohen Barbeständen und Ersparnissen, die permanent negative Zinsen nach sich ziehen. Stimmt diese These von der säkularen Stagnation, dann droht den Menschen eine Verschärfung von der derzeitigen Teil-Enteignung durch Minizinsen hin zu einer neuen Eskalationsstufe mit negativen Strafzinsen. Diese würden wirken wie eine permanente Solidaritäts-Abgabe für die Finanzkrise, die wir nie abgeschüttelt haben. Den Rest kann man sich denken: Unruhen, Repression, Bürgerkrieg, ökonomisches Mittelalter.
Die These von der säkularen Stagnation wurde in den vergangenen Tagen gleich von drei prominenten Ökonomen gestützt. Behalten sie Recht, droht eine wirtschaftliche Eiszeit. Vor zwei Wochen stieg der einflussreiche zweite Mann der US-Notenbank, Stanley Fischer, in die Debatte ein. Bei einem Vortrag in Schweden gab er folgende Einschätzung kund: Nachlassende Produktivitäts-Zuwächse, eine abnehmende Erwerbstätigen-Rate sowie einige andere Faktoren haben der US-Wirtschaft große Narben zugefügt, die über längere Zeit Wachstum verhindern werden. Fischer bezeichnete die Erholung der Weltwirtschaft und der US-Konjunktur als »enttäuschend« und bot als Begründung »eine länger anhaltende Verschiebung in der Weltwirtschaft« an.
Was gemeint ist, liegt auf der Hand. Es sind die beiden tektonischen Verschiebungen, die Europa und den USA zunehmend Kopfzerbrechen bereiten: Langsames Wachstum auf der einen Seite sowie die schnell zunehmende Konkurrenz der großen Schwellenländer China, Indien und Brasilien, die zwar im Augenblick selbst eine Wachstumsdelle erleben, aber dank rasender Urbanisierung und einer explosionsartig wachsenden Mittelschicht nichts von ihrem Potenzial eingebüßt haben.
Der zweite Einwurf, der die These vom langen Siechtum für den Westen stützt, kam von Princeton-Professor Ashoka Mody, der als Bailout-Experte des IWF bekannt wurde und beim Think Tank Bruegel in Brüssel als Fellow tätig ist. Mody wirft führenden Politikern vor, sich an überholte Wachstumsmodelle aus der Zeit vor der Finanzkrise zu klammern. Aus diesem Grund werden Mody zufolge serienweise schwere politische Fehler begangen. Wachsender internationaler Wettbewerb, langsameres Wachstum und niedrige Teuerungsraten bleiben uns für lange Zeit erhalten, so Mody.
Daher seine Warnung: »Das Unvermögen, diese fundamentale Verlangsamung zu erkennen, verstärkt die Erwartung, dass die alten Denkmodelle bei der Erholung helfen.« Doch das ist laut Mody ein schlimmer Fehler, weil »dieser Denkansatz nur neue Verwerfungen erzeugt.« Im Klartext: Wer nicht radikal umdenkt und sich auf eine Wirtschaft einstellt, die nur noch im ersten Gang auf der Standspur dahinschleicht, provoziert neue Krisen.
In diese Kerbe hieb jetzt auch der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Mervyn King. Der Westen, so King, müsse sich auf wachsende Schuldenberge einstellen, für die die Geldpolitik der Zentralbanken nicht die Antwort sei. »Wir entdecken gerade, dass der Grund für die langsame Erholung der Weltwirtschaft der ist, dass die Geldpolitik keine Antwort hat.«
Das ist ein Eingeständnis, das auch bei Stanley Fischer zwischen den Zeilen durchklang: In den Zentralbanken selbst wächst der Zweifel, wie viel sie überhaupt zu einer Erholung beisteuern können. Und das zu einer Zeit, in der Regierungen von Berlin über Paris und London bis nach Washington nur über furchtbar geringen Spielraum verfügen, um mit massiven Ausgabensteigerungen die Wirtschaft anzukurbeln.
Die jüngsten Äußerungen kommen zu einer Zeit, in der die Kreditwächter bei Moody´s offen warnen, dass vergreisende Gesellschaften das Heer der Erwerbstätigen schrumpfen lassen und das Wachstum bremsen. »Es gibt die weit verbreitete Sorge, wie lange dieses wirtschaftliche Siechtum anhält«, erklärt Eggertsson, »die Leute beginnen an die Möglichkeit zu denken, dass wir damit noch eine ganze Weile leben müssen.« Stanley Fischer hat den Begriff der »säkularen Stagnation« zwar vermieden.
Doch der Präsident der Fed-Zweigstelle in Minneapolis, Narayana Kocherlakota plant für den November bereits ein Symposium, das sich genau mit diesem Begriff und seinen möglichen Folgen beschäftigt. Aufmerksame Beobachter sind alarmiert. »Aus den jüngsten Äußerungen spricht eine Sorge, die wir so bisher noch nicht gehört haben«, bemerkt Nicholas Colas, der Chefstratege beim Brokerhaus ConvergEx in New York.
Behält diese Denkschule Recht, dann dürften die Notenbanken von Washington über London bis nach Toyko so schnell nicht den Fuß vom Gaspedal nehmen. Genau diese Botschaft wird von der mit Spannung erwarteten Rede der US-Notenbankchefin Janet Yellen am Freitag im amerikanischen Jackson Hole erwartet. Yellen, so legen es auch die Börsenkurse nahe, wird den Fuß nicht so schnell vom Gaspedal nehmen wie bislang erwartet, weil die Wirtschaft, vor allem der Arbeitsmarkt, einfach zu schwach ist.
Für die Börsen mag dies eine gute Nachricht sein. Sparern droht jedoch fortgesetzte Enteignung. Erwerbstätigen drohen stagnierende Löhne. Kontoinhabern droht die von Eggertsson angedeutete Solidaritätsabgabe. Im Klartext: Unsere Jobs sind bedroht, der Wohlstand geht flöten, aber die Abgaben steigen. Dass uns »Experten« unter diesen Umständen eine Erholung für die nächsten Quartale in Aussicht stellen, ist rätselhaft und unverantwortlich.
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